COUDENHOVE-KALEERGI Brüder in einer Zeitenwende
EUROPA-BRIEF von Prof. Dr. Gerhard Sabathil, EU-Diplomat i.R., Seoul
Eigentlich nimmt der Buchumschlag mit dem Porträt von "Hansi" Graf von Coudenhove-Kalergi, auf dem ihn sein Hofmaler, mein Onkel Alfred Offner mit Monokel und Sphinx darstellt, schon vieles aus dem Tatsachenroman des ostbayerisch-böhmischen Chronisten und Autors Bernhard Setzwein vorweg: Szenen aus dem Leben eines aus der Zeit gefallenen oder abgehobenen Adeligen im dreimaligen mitteleuropäischen Geschichtsbruch zwischen Kaiserzeit, tschechoslowakischem Sudentenland und Vertreibung und Flucht seiner Bevölkerung. 50 Jahre gräflicher Alltag von 1896 bis 1945 im Böhmerwald-Grenzstädtchen Ronsperg-Pobezovice, die historischen Mehrwert in der privaten Sicht auf die frühen Jahre des jüngeren, aber ungleich bedeutenderen Bruders "Dicky", des Paneuropäers Richard Coudenhove-Kalergi gewinnt.
Zwei Handlungsstränge durchziehen die 444 fesselnd und präzis geschriebenen Seiten, ergänzt durch ein nützliches Glossar, das den historischen und sprachlichen Hintergrund der Zeit in Erinnerung ruft. Die lange Erzählung beginnend mit der zögerlichen Ankunft in Ronsperg der jungen gräflichen Familie aus dem diplomatischen Dienst in Japan, ihrem schnellen Anwachsen auf sieben böhmisch-japanische Kinder, dem frühen, plötzlichen und durchaus mysteriösen Tod von Vater Heinrich, der unbewältigten Trauer der natürlich fremdelnden Witwe Mitsuko, den wachsenden Gegensätzen und der Entfremdung bis zum Zerfall zwischen den Hinterbliebenen und den Eskapaden des Schloßherren Graf Hansi mündet schließlich in die kurze, in diese Geschichte eingestreute spekulative Erzählung der Inhaftierung, Internierung und Misshandlung Hansis in den Lagern Prachatice und Bory bis zur Aufnahme 1946 des heimatlosen und verarmten Grafen im Regensburger Fürstenhaus Thurn und Taxis bis fast zu seinem Tod.
In lebhaften Schilderungen ruft Setzwein dabei auch Lebensstationen seiner Nebenfigur, des "paneuropäischen Samurai" Richard in Erinnerung. Die beiden frühkindlich Unzertrennlichen konkurrierten bald um die Gunst des Vaters und entwickelten ihre unterschiedlichen Charaktere zu Lebenswegen, die gegensätzlicher kaum sein konnten. Richard hielt seinen älteren Bruder ebenso für einen Spinner, wie dieser nur Unverständnis und Geringschätzung für die europäischen Visionen seines überlegenen Bruders übrig hatte. Die Vornamensgebung Richards in väterlicher Freundschaft und Verehrung Richard Wagners, der auch die Bretter des Bayreuther Festspielhauses aus dem adeligen Ronsperger Forst bekam, die Erfindung Paneuropas, inspiriert durch die religionswissenschaftlichen Studien des Vaters und dessen panislamischen indischen Freundes und häufigen Schlossgastes Abdullah, Richards Freimaurertum wie auch seine frühe, erste Ehe des noch Minderjährigen mit der 13-jährigen älteren Schauspielerin Ida Roland sind oft vergessene Details, die das Buch romantisierend in Erinnerung ruft. Gut belegt indessen ist das briefliche Eintreten Richards bei seinem alten Bekannten und jetzt wieder amtierenden Staatspräsidenten Beneś für die Freilassung des versponnenen irregeleiteten Bruders Hansi aus dem tschechoslowakischen Straflager.
Alles in allem, Bernhard Setzwein wollte kein zusätzliches Buch zum gut überliefertem und vielzitiertem Paneuropäer Richard schreiben, aber sein Stimmungsbild der dekadenten Welt des Adels, des provinziellen Faschismus, der Kriegseuphorie und der Welt der Lager, aus dem überraschend und fremdartig die europäische Größe Richard Coudenhove- Kalergis erwuchs ist ihm vollauf gelungen, auch ein spannender Filmstoff !
Buchtitel: Der böhmische Samurai, Berhard Setzwein, Verlag Haymon, Innsbruck 2017
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