VON DE GASPERIS UND SPINELLIS EU-IDEALISMUS ZUM PUPULISTISCHEN EUROSKEPTIZISMUS
EUROPÄISCHER BRIEF DER EUROPA GESELLSCHAFT COUDENHOVE-KALERGI von Botschafter i.R. Francesco Bascone, Rom
Jahrzehntelang waren die Italiener die glühendsten Anhänger der europäischen politischen Integration. Wir erinnern uns stolz, dass einer der führenden Pioniere Premierminister Alcide De Gasperi (1881-1954) zusammen mit Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem französischen Außenminister Robert Schuman war. Sie teilten die Werte der Christdemokratie, die ein Gegengewicht zum Nationalismus darstellte. Alle sprachen fließend Deutsch. Schuman war in Lothringen aufgewachsen, damals ein deutsches Bundesland und De Gasperi hatte einen Sitz im österreichischen Parlament in Wien.
Nach der Gründung der Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahr 1952 erlitt die Einigung Europas mit der Ablehnung des Vertrags 1954 über eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft durch das französische Parlament einen schweren Rückschlag. Eine neue Dynamik initiierte 1955 der italienische Außenminister aus Sizilien Gaetano Martino, der seine fünf Montanunion-Kollegen in seine Heimatstadt einlud, um über einen Neuanfang nachzudenken. Auf der Konferenz von Messina (die tatsächlich in der Nähe von Taormina stattfand) folgte 1956 die Konferenz von Venedig, bei der ein Entwurf diskutiert wurde, der von einem Komitee unter dem Vorsitz des belgischen Außenministers Paul-Henri Spaak vorbereitet worden war. Weitere Arbeiten an diesem Text führten im März 1957 zur Unterzeichnung der Römischen Verträge. Die EWG und Euratom waren damit gegründet..
Dieser historische Hintergrund sowie die Ablehnung des Nationalismus im Gefolge der vom Faschismus verursachten Katastrophen tragen dazu bei zu erklären, warum das Ideal der europäischen supranationalen Einheit zum unangefochtenen Eckpfeiler der politischen Identität Italiens wurde. Im Rat und im Europäischen Parlament plädierten die italienischen Minister und die Abgeordneten im Allgemeinen für eine stärkere Integration und waren selten von nationalen Interessen geleitet.
Altiro Spinelli (1907-1986) war Berater de Gasperis für die europäische Integration und zusammen mit Ernesto Rossi Autor des „Ventone Manifestes“. Dieses vorausschauende Dokument, während des Krieges 1041 publiziert, befürwortete die Schaffung eines föderalen Europas als Maßnahme gegen neue Kriege, ganz im Sinne von Richard von Coudenhove-Kalergi. Nach dem Sturz des Faschismus 1943 gründete er die Europäische Föderalistenbewegung.
Spinellis Entwurf für eine europäische politische Gemeinschaft, die der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft angegliedert werden sollte, hatte in der der Weltkriegsperiode keine Realisierungschance. Ein Vierteljahrhundert später nahm Spinelli seinen Einsatz für die europäische Einigung wieder auf, als er nach seiner Tätigkeit als Kommissar in Brüssel Mitglied des ersten gewählten Europäischen Parlaments wurde. Sein 1984 vom Europäischen Parlament, aber nicht von den einzelnen Regierungen abgesegneter Vertragsentwurf zur Gründung der Europäischen Union gab den Anstoß zu den Einheitlichen Europäischen Akte von 1986, auf die 1992 der Vertrag von Maastricht folgte.
In mehreren aufeinanderfolgenden Regierungskonferenzen zur Verhandlung der Verträge von Amsterdam, Nizza und schließlich von Lissabon sowie im Konvent, der zur unglückseligen Verfassung von 2004 führte, hat Italien immer mutigere Schritte in Richtung einer supranationalen Union unternommen. Es schien auch, dass die Mehrheit der Partner zugestimmt hätten.
Bei der jüngsten Wahl in Italien wechselte die Hälfte der Wähler zur populistischen Fünf-Sterne-Bewegung oder zur einwanderungsfeindlichen Lega Nord. Dies ist eine radikale Abkehr von der italienischen Tradition. Wie in anderen Ländern haben populistische Politiker den Euro und / oder die EU-Kommission als Prügelknaben behandelt und sie beschuldigt für steigende Preise, schwaches Wirtschaftswachstum, Verlust von Arbeitsplätzen oder Haushaltskürzungen, welche die soziale Sicherheit gefährden, verantwortlich zu sein. Der Schlachtruf war: Verlust der Souverenität.
Die beiden Anti-Establishment-Parteien, die gerade eine Koalitionsregierung gegründet haben, sind beide, allerdings auf unterschiedliche Weise "euroskeptisch". De Maios Fünf-Sterne-Bewegung glaubt naiv an die wundersamen Auswirkungen massiver Defizitausgaben und an ihre eigene Überzeugungskraft, andere Mitgliedstaaten zu einer radikalen Änderung der EU-Vorschriften zu bewegen. Es ist dabei allerdings kein Konflikt mit der Kommission oder mit der deutschen Kanzlerin Merkel beabsichtigt. Anders verhält es sich bei der Lega Nord. Sie hat sich unter der Führung von Matteo Salvini zur italienischen Version von Marine Le Pens Front National, einer Offenheit für Putins Geld und einer Nähe zu Steve Bannons entwickelt. Die Lega Nord ist bereit, den Brüsseler Institutionen zu trotzen und einen totalen Vertrauensverlust auf den Finanzmärkten zu riskieren.
In dieser peinlichen Situation hat Präsident Mattarella lobenswerte Anstrengungen der Schadensbegrenzung unternommen. Er hat sich nachhaltig geweigert, einen Befürworter des Verlassens der Euro-Zone für den Schlüsselposten des Ministers für Wirtschaft und Finanzen zu ernennen. Dies hat zu proeuropäische Erklärungen des neuen Priemierminsters Giuseppe Conte und seinen Abgeordneten geführt. Der Außenminister Enzo Moavero ist ein überzeugter Befürworter der europäischen Integration und Experte für EU-Angelegenheiten.
Die italienische "Regierung des Wandels" wird den Wählern mit den Vorgaben von mehr Flexibilität und Solidarität große Entschlossenheit zeigen müssen, um Änderungen in der EU-Politik zu erreichen. Mangels ausreichender Unterstützung wird es sich mit bescheidenen Zugeständnissen zufrieden geben und von einem Kollisionskurs absehen. Die Gefahr besteht darin, Warnungen zu ignorieren, solche Gesetze vorzuschlagen, die zu größeren Haushaltsdefiziten und Schulden führen, die schädliche Auswirkungen herunterspielen und zu behaupten, dass sie das Bruttosozialprodukt und die Steuereinnahmen ankurbeln und den Marktzinssatz auf ein untragbares Niveau anheben. Die Schuld würde man der Sparpolitik der EU und den Spekulanten zuschreiben. All dies könnte sich ohne größere Konfrontationen selbstzerstörerisch auswirken.
Die europäischen Partner und die EU-Institutionen haben klugerweise Abstand davon genommen, die beiden populistischen Führer und ihre Wählerschaft zu verärgern. Sie sind sich bewusst, dass "Lehren aus Brüsseloder aus Berlin“ unpopulär und kontraproduktiv sind. Sie haben weiters die Forderung nach Haushaltskürzungen verschoben. In naher Zukunft wird viel Geduld erforderlich sein, um dem Koalitionskabinett von Professor Conte die nötige Zeit zu geben, ihre utopischen Pläne den bitteren Realitäten anzupassen.
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