EINKOMMENSUNGLEICHHEITEN IN DER EU - eine soziale und wirtschaftliche Herausforderung
EUROPA-GESELLSCHAFT COUDENHOVE-KALERGI, Finanzreferent Manfred Drennig
In den europäischen Staaten ist es, wenngleich in unterschiedlichem Ausmaß, seit Jahrzehnten wichtiges Ziel der Sozial- und auch der Steuerpolitik, die Ungleichheit der Einkommen zu verringern und auch den Ärmsten ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Das zweite Ziel konnte im Wesentlichen erreicht werden, und die Bedeutung der Sozialpolitik für das Leben der Menschen in Europa – und auch für die Stabilität unseres sozialen und wirtschaftlichen Systems – kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Aber trotzdem ist die Verteilung von Einkommen und Vermögen zunehmend ungleicher geworden. 2014 hat Thomas Piketty auf der Basis umfangreichen Datenmaterials darlegt, dass die Vermögen rascher wachsen als das jeweilige Volkseinkommen, und daher Vermögen immer ungleicher verteilt wird. Er selbst bringt das auf die Formel r > g, die Kapitalrendite sei langfristig höher als die Wachstumsrate des Sozialproduktes. Heutige Statistiken unterstreichen dieses Bild. Dazu kommt, dass die wirtschaftliche Dynamik selber den Anteil des Kapitals am Produktionsprozess ständig erhöht. Die traditionellen Mechanismen sozialer Umverteilung kommen mit der Dynamik der Kapitalverteilung einfach nicht mehr zurecht.
Und das Leben am unteren Ende der sozialen Skala wird nicht leichter. Ökonomen wie etwa Richard Sennet haben deutlich gemacht, was die Veränderungen der Arbeitswelt und der Märkte für die in dieser Wirtschaft tätigen Menschen bedeutet. Das klassische relativ ruhige und stabile Arbeitsleben mit der Chance, jahrzehntelang bei einem Unternehmen tätig zu sein, gebe es fast nur mehr als Wunschvorstellung. Sennett meint, das schöne neue Bild von Freiheit und Flexibilität sei nur Illusion, die Realität sei, dass Menschen immer häufiger aus der Bahn geworfen würden, Stabilität, Sicherheit und Zugehörigkeit verlieren.
Die Politik ist sich der kritischen Bedeutung des Themas durchaus bewusst. Aber die Sozialpolitik stößt in den weniger reichen Staaten der Europäischen Union bereits heute an finanzielle Grenzen, und der wiederholt vorgebrachte Vorschlag eines Mindesteinkommens für alle umso mehr.
Nicht nur Piketty, sondern auch viele Andere sind der Meinung, dass die ständige Auseinanderentwicklung von Einkommen und Vermögen auf Dauer zu einer Verschärfung der Gegensätze zwischen Arm und Reich führt, den sozialen Zusammenhang unserer Gesellschaft gefährdet und massive politische Konsequenzen in Form einer zunehmenden Radikalisierung links wie rechts haben könnte. Zur künftigen Stabilität der Gesellschaft hat Piketty eine ziemlich skeptische Meinung: „Im Rahmen der gegenwärtigen politischen Einrichtungen ist das wohl nur schwer vorstellbar, es sei denn, man ginge von einem besonders wirkungsvollen Unterdrückungs- oder Überzeugungsapparat aus – oder von beidem.“
Die christlich sozialen Parteien Europas haben seit Jahrzehnten die Idee verfolgt, zur Verringerung der Vermögensunterschiede die Vermögensbildung auch de Arbeitnehmer zu fördern. Und auch auf sozialistischer Seite hat man die Bedeutung des Themas erkannt. Bereits in Willy Brandts Regierungs-erklärung1969 hieß es wörtlich: “ Zu den Schwerpunkten der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik dieser Bundesregierung gehört das Bemühen um eine gezielte Vermögenspolitik. Die Vermögensbildung in breiten Schichten – vor allen in Arbeitnehmerhand - ist völlig unzureichend, sie muss kräftig verstärkt werden.“
Eine Linderung der Verteilungsproblematik bei Bewahrung unseres marktwirtschaftlichen Systems wird auf Dauer nur über eine Verbreiterung der Anzahl der Kapitalbesitzer in der Gesellschaft möglich sein.
Der Weg dorthin ist natürlich steinig. Er erfordert zunächst das Bewusstsein auf Seiten der Bezieher geringerer Einkommen, dass auch für sie Sparen wichtig wäre. Dazu würde gehören, die gerade in Deutschland und Österreich weit verbreitete Angst und das Misstrauen gegen den Kapitalmarkt zu verringern. Das allein ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Und natürlich ist Sparen mit weniger Einkommen wesentlich schwieriger. Es bedarf daher gesetzlicher Unterstützung, die übrigens in Deutschland und in Frankreich in verschiedenen Formen bereits existiert, meist in Form von Steuerbegünstigungen oder sogar Prämien innerhalb bestimmter Höchstbeträge.
Es zeigt sich nur, dass das nicht ausreicht. Man wird weiterreichende Lösungen ins Auge fassen müssen. Denkbar wäre etwa die Schaffung einer Art Tobin-Steuer auf Börsenumsätze, verbunden mit der Zweckwidmung für Fonds, deren Volumina und Erträge letztlich für die Vermögensbildung von Arbeitnehmern herangezogen werden. Natürlich ist das nur eine Möglichkeit, und auch dem Schreiber dieser Zeilen ist bewusst, dass das zunächst ziemlich utopisch klingt. Aber das Thema sollte in der öffentlichen Diskussion Platz finden und nicht mehr daraus verschwinden. Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer hätte einen mehrfach positiven Effekt. Sie könnte dazu beitragen, die Ungleichheit in der Verteilung der Einkommen nicht noch größer werden zu lassen, sie könnte den Arbeitnehmern zusätzliche Einkommen aus Kapitalvermögen verschaffen, und sie könnte zur zusätzlichen Kapitalbildung in Europa, und damit zur Stärkung der europäischen Wirtschaft beitragen. Und nicht zuletzt könnte auf diese Weise ein Beitrag dazu geleistet werden, die sozialen Spannungen in der Gesellschaft, und die damit heute bereits erkennbare Radikalisierung, zu entschärfen.
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