PANEUROPA ALS MOTOR DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTARISMUS
100 Jahre Paneuropa und 75 Jahre Konferenz von Gstaad
Stephanie Waldburg, Paneuropa-Pressestelle, München
Auch im Vorfeld des 100jährigen Bestehens der Paneuropa-Union diesen Herbst werden die älteste europäische Einigungsbewegung und ihr Gründer Richard Coudenhove-Kalergi immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert, sie seien zu sehr auf Eliten und auf große Männer orientiert gewesen und zu wenig auf demokratische Prozesse. Dabei war Coudenhove nicht nur der Vater der Europa-Idee an sich, sondern auch der Initiator des europäischen Parlamentarismus. Schon in seinem ersten Aufruf "Paneuropa. Ein Vorschlag", der 1922 in den beiden bedeutendsten liberalen Zeitungen des deutschen Sprachraumes erschien, nämlich am 15. 11. in der Vossischen Zeitung in Berlin und am 17. 11. in der Neuen Freien Presse in Wien, gipfelte das von ihm vorgeschlagene paneuropäische Programm in der Forderung nach einer "paneuropäischen Verfassung". Diese sollte sich an den demokratischen Systemen "der Vereinigten Staaten oder der Schweiz" orientieren.
Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Wien 1938 flohen Coudenhove und seine Frau Ida Roland zuerst in die Schweiz und schließlich in die USA, wo sie weiter für die europäische Einigung warben, so mit dem 5. Paneuropa-Kongreß 1943 in New York. Das vom Paneuropa-Gründer in Amerika entwickelte Konzept für eine Nachkriegsordnung sprach sich für "Vereinigte Staaten von Europa ... errichtet nach dem demokratischen Beispiel der Schweiz" aus. Eine Konstituierende Versammlung solle sofort nach Kriegsende eine "Bundesverfassung für Europa" ausarbeiten.
Als es dem Ehepaar Coudenhove 1946 gelang, nach Europa zurückzukehren, trafen sie sich mit dem damals berühmtesten Staatsmann unseres Kontinents, Winston Churchill, der am 19. September dieses Jahres seine berühmte Zürcher Rede hielt, in der er auf den unermüdlichen Einsatz Coudenhoves in der Zwischenkriegszeit hinwies und dementsprechend "so etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa" forderte. Die europaweite Begeisterung über Churchills Rede nutzte Coudenhove, der durch seine Arbeit in den zwanziger und dreißiger Jahren ebenfalls auf dem ganzen Kontinent bekannt war, um 4256 Abgeordnete aus 13 europäischen Staaten schriftlich zu fragen, ob sie für eine Europäische Föderation im Rahmen der Vereinten Nationen seien. Sie antworteten zu 97,2 Prozent positiv, worauf der Paneuropa-Präsident Anfang September 1947, also vor 75 Jahren, im schweizerischen Gstaad die Europäische Parlamentarier-Union (EPU) ins Leben rief, der er als einziger Nicht-Parlamentarier angehörte. Diese gab den Anstoß zur Gründung des Europarates in Straßburg und schlug schon damals die Direktwahl eines Europäischen Parlamentes, ja sogar einer verfassungsgebenden Versammlung der freien Europäer vor.
Ein Jahr nach dem Treffen von Gstaad, das die internationale Presse als das "erste Europaparlament" würdigte, verabschiedete die EPU, deren Generalsekretär Coudenhove war, den Interlaken-Plan, der die Idee des europäischen supranationalen Parlamentarismus trotz vieler interner Widerstände weiter vorantrieb. Auch beim Kongreß der Europäischen Bewegung 1948 in Den Haag, dessen Ehrenpräsident Coudenhove war, gelang es, die Forderung nach einem Europäischen Parlament durchzusetzen, zu dem die Parlamentarische Versammlung des Europarates wegen der britischen Obstruktion schließlich doch nicht wurde. Bei Gründung der Kohle-und-Stahl-Gemeinschaft 1952 waren es ebenfalls Paneuropäer, die gegen den Widerstand Jean Monnets - der nur eine "Hohe Behörde" wollte - im Vertrag der EGKS verankerten, daß diese über eine Parlamentarische Versammlung verfügen sollte. Diese wurde in mehreren Stufen schließlich zum Ausgangspunkt des 1979 zum ersten Mal direkt gewählten Europaparlamentes, in dem Coudenhoves Nachfolger Otto von Habsburg und viele andere Paneuropäer zu den prägenden Persönlichkeiten gehörten und heute noch gehören.
Im Zentrum vieler Aktivitäten in der Straßburger Volksvertretung steht die fraktionenübergreifende Paneuropa-Parlamentariergruppe, die heute von dem österreichischen Abgeordneten Lukas Mandl geleitet wird.
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