POBEZOVICE/RONSPERG ALS PANEUROPÄISCHER FRIEDENSORT
Europäischer Brief von Univ.Prof. Dr. Anita Ziegerhofer, Universität Graz
Das Jahr 2022 bedeutet aus „paneuropäischer“ Sicht ein Jahr der Erinnerung. Vor 100 Jahren, am 17. November 1922, veröffentlichte Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi in der Wiener „Neuen Freien Presse“ einen Artikel mit dem Titel „Paneuropa – Ein Vorschlag“. Damit trat er die Paneuropa-Bewegung los, deren 100. Geburtstag vom 17. bis 20. November 2022 in Wien in Form eines Jubiläumskongresses begangen wird. Das Jahr 2022 birgt aber auch eine andere Erinnerung an Paneuropa bzw. an ihren Gründer: Am 27. Juli 2022 jährte sich der Todestag von Richard Coudenhove-Kalergi zum 50. Mal.
In diesem so bedeutsamen Jahr besuchte ich unlängst Schloß Ronsperg im tschechischen Poběžovice, dort, wo Richard Coudenhove-Kalergi seine Kindheit und Jugendjahre verbrachte. Mit wunderbaren Worten schildert der Paneuropäer in seiner letzten Autobiografie aus dem Jahr 1966 eine idyllische Welt. „Der größte Teil dieser Herrschaft besteht aus Tannen- und Fichtenwälder . Schloß Ronsperg ist umgeben von einem uralten Park mit Baumgruppen, Spielplätzen, Beeten und Springbrunnen; eine hohe Steinmauer trennt diese kleine Welt von der großen Welt ringsherum.“ Der schöne Böhmerwald scheint heute unverändert, das Schloss hingegen ist gerade so renoviert, dass es nicht vollends dem Verfall preisgegeben ist. Die einstige Schönheit der ehemaligen Burg bzw. des späteren Schlosses wie auch des uralten Parks lässt sich lediglich erahnen. 1864 hatte Richards Großvater, Franz Coudenhove gemeinsam mit seiner Gattin Marie, Schloss und Herrschaft Ronsperg erworben. Als Richard Coudenhove-Kalergi zwei Jahre alt war, 1896, übersiedelte er mit seinen Eltern, Heinrich und Mitsuko sowie seinem Bruder Hans, von Japan nach Ronsperg. Der Vater entschied, Ronsperg zum Hauptwohnsitz der Familie zu machen. Richard Coudenhove-Kalergi berichtet in seinen Memoiren ausführlich über seine Kindheit in Ronsperg und führt seine Leserschaft äußert lebendig durch die Räume, sodass man eine gute Vorstellung vom einstigen Leben im Schloss erhält, das auch viele Gäste aus der ganzen Welt beherbergte. Hier kamen auch die fünf weiteren Geschwister von Richard und Hans zur Welt. Der Schlossherr Heinrich Coudenhove verfasste in seinem Arbeitszimmer seine Dissertation „Das Wesen des Antisemitismus“. Mitsuko hatte sich im Turmzimmer ein Atelier eingerichtet, wo sie malte und dichtete. Die Kinder benutzen Park und Innenhof des Schlosses als großen Spielplatz. Ronsperg schien eine Oase des Friedens und des Glücks zu sein, eine Idylle, die 1906 mit dem plötzlichen Tod von Heinrich jäh zerbrach. Die Witwe übernahm nun im Namen des ältesten Sohnes Hans als dessen Vormund die Verwaltung des Schlosses und schickte ihn gemeinsam mit Richard ins Augustiner-Gymnasium nach Brixen. 1908 wurden die beiden Brüder Zöglinge der Theresianischen Akademie in Wien. In der Zwischenzeit hatte Mitsuko den Ronsperger Haushalt aufgelöst und wenn die Söhne in den Sommerferien in die Heimat zurückkehrten, wohnten sie nun in Stockau, dem kleineren Schloss der Ronsperger Herrschaft am Fuße des Böhmerwaldes.
Während der Zwischenkriegszeit ging das Schloss in den Besitz von Hans Coudenhove über. Er renovierte es und beauftragte einen Maler, jedem Ahnen-Porträt Beine dazuzumalen und ließ im Empfangssalon einen überlebensgroßen Kachelofen mit seinem Abbild bauen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Coudenhoves enteignet und Ronsperg fiel an den Staat. Das Schloss wurde geplündert, bis Mitte der 1960er Jahre diente es als Unterkunft für das Heer. 1967 erteilte der Nationale Bezirksausschuss in Domažlice (Taus) die Bewilligung zum Abriss, wozu es Gott sei Dank nicht gekommen ist. Seit 1989 ist das Schloss im Besitz der Gemeinde Poběžovice. Als Masumi Schmidt-Muraki, die Biografin von Misuko Coudenhove-Kalergi, Anfang der 1990er Jahre Ronsperg besuchte, stand die gebürtige Japanerin vor einem halbverfallenen Schloss. Sie begann in Japan Spenden für die Restaurierung des Schlosses zu sammeln und verfolgte die Vision, Ronsperg zu einem Friedenssymbol zu machen. Allerdings scheiterte das Projekt unter anderem auch an bürokratischen Hürden. Schließlich entschied Masumi Schmidt-Muraki, einen japanischen Zengarten anzulegen, den sie „Richard Coudenhove - Kalergi Zengarten des Friedens“ nannte.
Eine Broschüre über die Burg und das Schloss Ronsperg in deutscher Sprache erinnert heute an die Baugeschichte und ist im Informationsbüro von Poběžovice, das in den Räumen der ehemaligen Schlossgärtnerei untergebracht ist erhältlich. Hier liegt auch ein reich bebildertes Heftchen, in Englisch und Tschechisch verfasst, auf, das aus Anlass des 100. Geburtstages der Paneuropa-Bewegung herausgegeben wurde. Eine Gedenktafel, angebracht aus Anlass des Beitritts Tschechiens zur EU, erinnert heute noch an Richard Coudenhove-Kalergi.
Es ist schade und deprimierend, in welchem Zustand sich dieses so bedeutende Schloss mit einer derart lebendigen und spannenden Geschichte befindet. Es war einst ein kosmopolitisches Zentrum – eine Grundlage, auf der man aufbauen könnte. Gewiss, man müsste sehr viel Geld aufbringen, um dem Schloss den einstigen Glanz zu verleihen. Man könnte – ähnlich der Friedensburg Schlaining – Ronsperg zu einem Museum der Geschichte der europäischen Integration machen. Es könnte zu einem intellektuellen, geistigen Zentrum Europas werden … Hier könnte die EU Akzente setzen und sich ihrer Wurzeln besinnen und neue Wege in die Zukunft ersinnen … Alles im Sinne des Friedens, alles im Sinne Europas!
Verwendete Literatur:
Richard Coudenhove-Kalergi, Ein Leben für Europa. Meine Lebenserinnerungen, Köln-Berlin 1966
Masumi Schmidt-Muraki, Die Gräfin kam aus Tokyo. Das Leben von Mitsuko Coudenhove-Kalergi, Strasshof 2017
Kommission des Schlosses Pobezovice, Marie Spackkove/Jan Vogeltanz, Burg und Schloss Ronsperg in Poběžovice
Petr Pavelec, Richard Coudenhove-Kalergi and his vision of European unification 1922-2022, Ronsberg 2022
Comments
Post a Comment