Europas Identitäten
Die Frage was ist Europa, wird in der Welt begriffsinhaltlich primär geographisch, geschichtlich oder kulturell interpretiert. In Europa selbst ist die Identifizierung heterogen, pluralistisch, diffus und von persönlichen Vorstellungen und Erfahrungen geprägt.
Der Begriff Europa stammt aus dem hellenistischen Mythos und wurde durch die griechische Kultur in unser geschichtliches Bewusstsein eingebracht. Römer, Germanen, Mauren, Türken sowie Völkerwanderungen, Religionskämpfe, Nationalstaaten, Ideologien und Weltkriege sind weitere entscheidende Elemente der europäischen geschichtlichen Entwicklung.
Das Streben nach Gemeinsamkeiten in einer territorialen Abgrenzung hat es in der Geschichte immer wieder gegeben. Das römische Weltreich und das römische Reich deutscher Nation hatten als gemeinsames Erfolgsmerkmal, die relative Autonomie der Teilgebiete, vor allem in politischer und kultureller Hinsicht. Eine echte große Staatenvereinigung auf freiwilliger Grundlage entstand allerdings in Europa erstmals nach dem zweiten Weltkrieg. Im Laufe der europäischen Geschichte gab es viele Einigungsversuche auf monarchischer Basis mit Kaiser- und Königreichen, was für den demokratischen Reifungsprozeß Europas viele wertvolle Beiträge erbrachte. Die faschistischen Modelle, vor allem jenes von Hitler-Deutschland, führten zu Katastrophen. Schließlich ist in Europa auch die kommunistische Utopie der Sowjetunion zusammengebrochen.
Beim modernen laufenden Einigungsprozeß in Europa handelt es sich also um keine Wiedervereinigung, sondern um einen neuen und auf demokratischer Basis gesuchter Zusammenschluß freier Staaten und Nationen. Trotz teilweise immenser Verschiedenheiten, die durch die Einbeziehung von Staaten noch wächst, die über ein halbes Jahrhundert Erfahrungen totalitärer Regimes hinnehmen mußten, besteht das Gemeinsame doch vorwiegend im nachbarschaftlichen des europäischen Kontinents. Kultur, Sprache und Religion sind oftmals zwar unterschiedlich, dürften aber in unserem europäischen Liberalismus und Laizismus zu einer immer größer werdenden gegenseitigen Bereicherung werden. Diese Europa-Idee eines geeinten europäischen Kontinents, hat der Europäer par excellence Richard Coudenhove-Kalergi, beheimatet in mehreren europäischen Ländern schon zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt.
Euphorisch mag stimmen, daß im Prinzip die Zugehörigkeit zu diesem vereinten Europa im Allgemeinen von den meisten Menschen in Europa gewünscht wird. Im tagespolitischen und in nationalen Einzelfragen brechen jedoch ständig die Egoismen durch.
Nur mit Optimismus wird das auf dem europäischen Kontinent auch Frieden garantierende Europaprojekt weitergebracht werden können. Bei den Beitrittswerbern und vor allem den territorialen Randvölkern gibt es die natürliche Abgrenzung, ob das geschichtliche und vor allem das kulturelle sowie moralische Erbgut Europas mitgetragen werden kann und auch in den Ländern selbst verwirklicht ist. Es handelt sich dabei um Ideale, die in teils leidvollen Erfahrungen die europäischen Länder auf das heutige Kultur- und Moralniveau gehoben haben. In schwierigen Phasen des Einigungsprozesses, der aller Dämonen zum Trotz irreversibel erscheint, sollen Erkenntnisse der europäischen Geschichte unsere Entscheidungen prägen und erleichtern, die da insbesondere sind:
Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Solidarität und Toleranz. In den Mittelpunkt ist die Achtung der Menschwürde in religiöser und laizistischer Diktion zu stellen. Einen besonderen Stellenwert kommt im europäischen Wertegefüge dem Christentum zu, das diesen Kontinent christlich geprägt hat. Falsche Toleranz dient oft als Vorwand, um europäische Wertvorstellungen anzugreifen. Obwohl im Verlaufe der christlichen Geschichte viele Krisen zutage traten, waren es immer Krisen ihrer Subjekte und vor allem ihrer machtmissbrauchenden Amtsträger. Die christlichen Naturgesetze decken jedoch unser heutiges Bild der Menschenwürde perfekt ab. Alle europäischen Menschenrechtsdeklarationen gehen unbestritten auf christliche Wurzeln zurück.
Zwecks Realisierung dieser Ideale, größtmöglicher Vermeidung von Bürokratie und Erreichung einer optimalen Bürgernähe, hat sich gerade im multikulturellen Europa die Beachtung des Ordnungsprinzips der Subsidiarität als besonders wichtig erwiesen. Es ist dies eine Kompetenzansiedlung, wo sie möglichst bürgernahe am effizientesten wahrgenommen werden kann.
Diese moralischen und ordnungspolitischen Wertvorstellungen, die Europäer zusammenbinden, sollten für Europa identitätsstiftend und ein Angebot für alle sein, die eine Integration in Europa anstreben. Um diese europäische Identität stärker zu verankern, sollten insbesondere unsere Eliten – als Gesellschaftsvorbilder verstanden - Moralwerte attraktiver kommunizieren. Eine bessere Einbindung von NGO s bzw. ziviler Gesellschaftsgruppen in Bezug auf die Europa-Informationen mit einem Ausbau der gesamteuropäischen Medien ist ein gebotener Weg , in der Bevölkerung mehr europäisches Identitätsbewusstsein und damit Akzeptanz für das gemeinsame Europa zu schaffen.
Dr. Heinz Wimpissinger, Generalsekretär der Europa-Gesellschaft Coudenhove-Kalergi
EB Jänner 2010
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