RECHTSSTAAT statt Primat der Politik
Published by the European Society Coudenhove-Kalergi, Secretary General Heinz Wimpissinger
Rainhard Kloucek, Generalsekretär der
Paneuropabewegung Österreich, Präsidiumsmitglied von Paneuropa International,
Mitglied im Lord Acton Kreis
Verfechter beider falscher Ideologien, aber auch viele
Anhänger eines „mehr Europa“ untermauern ihre politischen Positionen mit der
Forderung nach der Etablierung eines „Primat der Politik“. Der Politik, so ihre
These, sei das Heft des Handelns aus der Hand genommen worden, anonyme Märkte
und Finanzinstitutionen würden die Welt steuern. Das dürfe sich die Politik
nicht länger gefallen lassen, sie müsse die letzte Entscheidung haben. Es wäre
verlockend diese Verschwörungstheorie in ihre absurden Details zu zerlegen,
dies würde aber den Rahmen des Aufsatzes sprengen. Nur so viel: Auch die
Finanzmärkte handeln in dem Rahmen, den die Politik gesetzt hat. Kein
Finanzmarkt zwingt die Politik in die massive Verschuldung, die Europa
kennzeichnet. Das griechische Problem ist übrigens eine Folge des
wiederkommenden Primats der Politik über die ökonomische Vernunft.
Im Zuge der sogenannten Euro-Krise, die man besser als Krise
des Wohlfahrtsstaates, der seine Sucht zur Verschuldung nicht mehr unter
Kontrolle bekommt, bezeichnen sollte, werden immer wieder Lösungsansätze
präsentiert, die sich schon in der Vergangenheit als falsch erwiesen haben. Da
wollen die einen Europa planwirtschaftlicher machen. Sie glauben, man könne
Probleme durch Umverteilung lösen. Die anderen wollen das Rad der Zeit
zurückdrehen und suchen ihr Heil in einer Auferstehung des Nationalstaates.
Aber beide Konzepte, sowohl Planwirtschaft als auch Nationalismus, haben in der
Geschichte versagt und können Europa nicht aus der Krise führen.
Vielmehr soll hier dargelegt werden, dass der Ruf nach einem
„Primat der Politik“ Europa nicht retten sondern nur weiter in den Abgrund
ziehen würde. Schon in der aktuellen Krise und der sogenannten Rettungspolitik
hat die Politik Entscheidungen unter Ausschaltung und Umgehung des Rechts
getroffen. Einmal geschaffene neue Institutionen, für die notdürftig
irgendwelche Rechtstitel zusammengebastelt wurden, geben Europa eine neue
institutionelle Ordnung, ohne dass je über die entsprechenden Folgen auch nur
im Ansatz diskutiert wurde.
Neu ist das Konzept eines „Primat der Politik“ nicht. Europa
hat solche Phasen durchlebt. Der Absolutismus, egal ob aufgeklärt oder nicht,
war ein solcher Primat der Politik. Entscheidungen wurden nicht nach den Regeln
des Rechts getroffen, sondern nach den Regeln der absolutistischen Macht. Der
Ausspruch des französischen Sonnenkönigs, „der Staat bin ich“, formuliert knapp
und präzise was Primat der Politik wirklich bedeutet: der Wille der politischen
Nomenklatura (damals eben ein einzelner Herrscher) steht über dem Recht. Nicht
das Recht dominiert, sondern die politische Willkür. Auch die totalitären
Systeme, die Europa im 20. Jahrhundert für lange Zeit dominiert haben, folgten
dem Prinzip eines Primat der Politik. Die Partei hatte immer Recht. Richard Coudenhove-Kalergi sprach in
diesem Zusammenhang vom „totalen Staat“, den er abgelehnt hat (nachzulesen in
seinem Buch „Totaler Staat – Totaler Mensch“).
Dem entgegen steht jene Tradition, die Europa zu seiner
Blüte geführt hat: die Herrschaft von Recht und Freiheit, die
Rechtsstaatlichkeit als Rahmen, der für alle gilt. Fast vergessen ist heute,
dass es insbesondere die katholische Kirche war, die zur Herausbildung der
Rechtsstaatlichkeit eine wichtige Rolle gespielt hat. Der Investiturstreit sei
als ein Beispiel dafür genannt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, der das Ende zumindest einer der
beiden großen totalitären Spielarten brachte, war es die Idee der sozialen
Marktwirtschaft, die den Staat auf die Rolle als Hüter eines Ordnungsrahmens
(und nicht als ökonomischer Akteur), der für alle gelten sollte, reduzierte.
Das Wirtschaftswunder, das die beiden zerstörten Länder Österreich und
Deutschland zu wohlhabenden Gemeinschaften machte, war ein Ergebnis dieser
Herrschaft des Rechts.
Die Überlegenheit dieser Rechtsstaatlichkeit zeigte sich
letztlich auch in der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
(KSZE, heute OSZE), über deren Schlussakte international gültige
Rechtsgrundsätze vereinbart wurden, die auch die totalitäre Sowjetunion
verpflichteten und damit einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung der Sowjetherrschaft
in Europa leisteten.
Wer heute einem Primat der Politik Europa das Wort redet,
sollte sich im Klaren darüber sein, dass er damit der politischen Willkür das
Wort redet. Die Tatsache, dass die Forderung nach dem Primat der Politik aus
praktisch allen Lagern vertreten wird, muss als schwerwiegendes Indiz für eine
Verrohung der politischen Kultur Europas bezeichnet werden.
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