CHRISTLICHE RELIGIONSEINFLÜSSE auf die europäische Gesellschaft
EUROPÄISCHER BRIEF von Heinz Wimpissinger, Generalsekretär
Südeuropa ist mehrheitlich katholisch und Nordeuropa protestantisch. In der heutigen Welt hat die Religion oft anderen Lebensphilosophien Platz machen müssen. Politische Ideologien sind einander näher gekommen. Es hat jedoch den Anschein, dass katholische und protestantische dem Volk inhärente Grundwerte - trotz Ökumene, Mischehen und Säkularisierung - verschiedene Grundmuster beibehalten haben. Es sei der Versuch unternommen - abgesehen von anderen Unterscheidungen wie politischer oder historischer Art - Konfliktursachen zu orten, die möglicherweise auch in unterschiedlichen Beurteilungen von Katholiken und Protestanten liegen können. Natürlich sollen die folgenden Reflexionen nicht als feste Kategorisierungen verstanden werden.
KONFLIKTFREUDIGKEIT: Die katholische Welt scheint oft konfliktfreudiger als die protestantische. Eine starke katholische Meinung ist, ein Konflikt soll ausgetragen werden. Er führt dann leichter zu Lösungen. Es handelt sich um eine intellektuelle Betrachtungsweise mit Thesen und Antithesen. Die Lösungen ergeben sich oft aus wilden Diskussionen. Für Protestanten können solche Diskussionen leichter als Streit empfunden werden.
SPRACHE: Bei den Katholiken siegt oft die sprachliche Formulierung, während bei Protestanten der Inhalt entscheidender scheint. In einem Konflikt ist oft die Sprache das einzige Lösungsmittel, sodass ihre perfekte Beherrschung als besonders wichtig erachtet wird. Traditionell sprechen Katholiken komplizierter und umständlicher als Protestanten, die üblicherweise direkt zum Punkt kommen. Sie sprechen einfach und kurz. Dadurch wird allerdings das Kommunizieren erschwert. Die kurzgefasste Präsentation gilt in Nordeuropa als Tugend und Beweis für sachliche Korrektheit. Die Katholiken können darin einsilbige Unbeholfenheit sehen. Eine Botschaft, die dürftig verpackt ist, kann nicht viel Wertvolles beinhalten. Der Katholik hält den Zuhörer in Spannung, um schließlich "die Katze aus dem Sack" zu lassen. Der Protestant überbringt die Botschaft sachlich in Ermangelung von Mystik.
REGELUNGEN: Protestantische Beschlüsse werden relativ schnell mit der Vorstellung gefasst, dass sie wieder geändert werden können. Sie treten sofort in Kraft und werden auch befolgt. Die Katholiken brauchen mehr Zeit, um zu einem Entschluss zu kommen, der dann möglichst ewig halten soll. Die Protestanten sehen Bestimmungen als einzuhaltendes Gesetz, während Katholiken darin eher eine Beschreibung eines Idealzustandes sehen. Als simples Exempel sei angeführt, dass die Vorschrift "Hunde an der Leine führen" von Protestanten im allgemeinen befolgt wird. hingegen in Südeuropa als Erinnerung zu werten ist, dass Hunde unter einer gewissen Aufsicht gehalten werden sollen.
SOZIALSTRUKTUR: Die protestantische Kirche war mehr an nationale Grenzen gebunden. Die katholische Kirche verstand sich immer global mit dem Papst als Oberhaupt. Die Katholiken befinden sich in einer weltweiten Glaubensgemeinschaft. Dies kann als ein kollektives Verhältnis zu Gott interpretiert werden. Die Protestanten dürften mehrheitlich eine persönlichere Gottbeziehung vorziehen.
OFFENHEIT: Der Druck für eine verstärkte Transparenz in der Europäischen Union kommt aus dem Norden. Die katholische Kirche verwaltet viele Geheimnisse, während die Protestanten sich weitgehend auf die Bibelübersetzung aus dem Mittelalter stützen. Die Auslegung der Bibel ist den Protestanten weitergehender selbst überlassen.
DIFFERENZEN: Eine Gefahr kann gesehen werden, dass die Sprache missverständlich von Katholiken und Protestanten benutzt wird. Gegensatzpaare sind Dezentralisierung und Zentralsteuerung, Mobilität und Umzugsfeindlichkeit, Offenheit und Vertraulichkeit, Hierarchie und Kollegialität, Gleichstellung und Unterschiedlichkeit der Geschlechter mit all seinen Auswirkungen auf das politische und religiöse Leben.
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