CARITAS EUROPA
EUROPEAN LETTER OF THE ES-CK – EUROPEAN SOCIETY COUDENHOVE-KALERGI
DDr.Michael Landau, Präsident Caritas Österreich und Caritas Europa
Caritas heißt Not sehen und Handeln, meint Hilfe von Mensch zu Mensch, von Gesicht zu Gesicht, rund um die Uhr und manchmal rund um die Welt. Nächstenliebe ohne Wenn und Aber, das ist Caritas. Und so ist „Caritas“ als notwendiger Wesensausdruck von Kirche natürlich immer mehr als die Organisation, die diesen Namen trägt.
Caritas Europa ist formal betrachtet ein Netzwerk von 49 nationalen Caritas-Organisationen in 46 europäischen Ländern; in der Ukraine und im Vereinigten Königreich gibt es zwei, beziehungsweise drei Mitgliedsorganisationen. Caritas Europa hat ein kleines Sekretariat in Brüssel; geleitet wird es von der Schwedin Maria Nyman. Rechtlich ist die Caritas Europa als internationale Nichtregierungs- und gemeinnützige Organisation nach belgischem Recht registriert. Und sie ist eine der sieben Weltregionen von Caritas Internationalis, der weltweit tätigen internationalen Caritas-Konföderation mit mehr als 160 Mitgliedsorganisationen, ganz überwiegend nationalen Caritas-Organisationen, auf allen Kontinenten mit rechtlichem Hauptsitz im Vatikan.
Zurzeit sind wir in besonderer Weise gefordert: Die Pandemie ist ein Stresstest für die Gesellschaft, für die Caritas, zuallererst und vor allem auch ein Stresstest für die Menschen an den Rändern der Gesellschaft und des Lebens, für die Ausgegrenzten und Armen, denen der Dienst der Caritas gilt.
Jeder fünfte Mensch in Europa lebt heute an oder unter der Armutsgrenze, eines von vier Kindern in Europa ist arm oder armutsgefährdet. Die Wahrnehmung aus der täglichen Arbeit der Caritas ist: Für viele Menschen in allen Ländern Europas – und weltweit – ist die Gesundheitskrise längst auch zu einer sozialen Krise geworden. Wie sehr sich die zum Teil dramatischen Einkommenseinbußen durch Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, aber auch die langfristigen Auswirkungen auf Gesundheit und Schulbildung, in den Armutszahlen niederschlagen werden, wird die Entwicklung der kommenden Jahre zeigen. Die Caritas-Einrichtungen sind hier nicht zuletzt Sensoren einer Gesellschaft. Und wir gehen davon aus, dass die Zahl der von Armut und Ausgrenzung betroffenen Menschen auch in Europa deutlich steigen wird.
Motiviert durch das Evangelium, inspiriert durch das Zeugnis der Propheten und das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, sowie im Blick auf die Partnerschaft mit den in Armut lebenden Menschen und Gemeinschaften ist Caritas – aus der Erfahrung der täglichen Arbeit gespeist – ein authentischer Ausdruck der Soziallehre und der Diakonie, das heißt des Dienstes der Katholischen Kirche.
Dahinter steht die Überzeugung, dass Gott alle Menschen gleich an Rechten, Pflichten und Würde geschaffen und sie berufen hat, als Schwestern und Brüder zu leben. So ist die Vision der Caritas Europa eine Zivilisation der Liebe, der Solidarität und der Gerechtigkeit, in der Menschen sich entfalten und in Frieden und Freiheit leben können, ohne Ausgrenzung und Diskriminierung, wo die Stimmen der Frauen, Männer und Kinder in besonders schutzbedürftigen Situationen gehört werden und in der die Schöpfung, unser gemeinsames Haus, bewahrt wird.
Gleichzeitig sind die Caritasorganisationen in Europa sehr vielfältig organisiert: So sind sie etwa unterschiedlich stark pfarrorientiert, in Österreich ist das mit rund 3.000 Gemeinden ein ganz wichtiges Netz der Nächstenliebe und Solidarität, manche projektorientiert, viele haben Arbeitsschwerpunkte in sozialen Dienstleistungen, z.B. für Menschen mit Behinderungen und für ältere, pflegebedürftige Menschen bis hin zur Hospizarbeit. Etliche sind zum Teil hoch professionalisiert bei hauptamtlich Mitarbeitenden, andere ganz überwiegend getragen von Freiwilligen. Viele mit einem klaren Fokus auf Armutslagen und konkrete Bedürfnisse Hilfsbedürftiger in ihren jeweiligen Ländern, aber auch über Ländergrenzen und Kontinente hinweg als Träger humanitärer Hilfe und in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.
All das immer aus der Überzeugung, dass wir uns mit der Not von Menschen nicht abfinden dürfen, nicht in Österreich, nicht in Europa und nicht weltweit. Familienzentren, Sozialberatungen und Einrichtungen für wohnungslose Menschen gehören hier ebenso dazu, wie Projekte, die Menschen unterstützen, auf dem Arbeitsmarkt (wieder) Fuß zu fassen oder Menschen auf der Flucht bei der Ankunft und Integration zu begleiten. In all diesen Bereichen ist es das Ziel, dass Menschen so schnell und so weit wie möglich wieder auf eigenen Beinen stehen und ihr eigenes Leben selbstbestimmt und selbstverantwortet gestalten können. Hilfe zur Selbsthilfe eben. Und dort, wo das nicht mehr möglich ist, gilt es Menschen auf Augenhöhe und in Würde in ihrem Alltag zu begleiten…
Zugleich verpflichtet uns das Zweite Vatikanische Konzil auch zum anwaltschaftlichen Einsatz: Man darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist, so heißt es dort. Man muss die Ursachen der Übel bekämpfen, nicht nur die Symptome. Das ist nicht immer bequem. Aber ich habe den langjährigen Präsidenten der Caritas Österreich vor Augen, Prälat Leopold Ungar, der einmal gesagt hat: „Christus hat die Kirche nicht zum Ja-Sagen gestiftet, sondern als Zeichen des Widerspruchs.“
Das alles drückt sich auch in den Werten aus, die die Caritas Europa in ihrem aktuellen Strategischen Rahmen 2021-2028 benennt: Würde, Gleichheit und Zentralität des Menschen; bevorzugte Option für die Armen; Solidarität; Subsidiarität, Geschwisterlichkeit und Zusammenhalt; Professionalität und Herzensbildung; Frieden und Gerechtigkeit; und Ganzheitliche Ökologie und Bewahrung der Schöpfung.
Die beiden Enzykliken „Laudato Sí“ und „Fratelli Tutti“ von Papst Franziskus sind dahinter deutlich spürbar, wie auch einige Ausrichtungen, die dem Netzwerk der Caritas Europa für die kommenden Jahre wichtig sind: (Soziale) Innovation, die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, aber auch der Wunsch, Engagement und aktive Beteiligung der Jugend weiter zu stärken, weil diese nicht die Zukunft unserer Völker sind, sondern die Gegenwart.
Als lernendes Netzwerk stehen wir für ein Europa, das breiter, größer ist, als die Europäische Union, deren „Europäisierung“ nach wie vor in vielen Bereichen ansteht; ein Europa, das – um an Johannes Paul II. und seinen Besuch in Wien 1998 zu erinnern – auf beiden Lungenflügeln atmet. Ein Europa, das einen Unterschied macht für die Welt.
Caritas Europa ist nicht nur ein Sekretariat in Brüssel, so wichtig die Arbeit auch ist, die das – wunderbare und ebenso hoch engagierte wie professionelle – Team dort Tag für Tag leistet. Und Caritas Europa ist wohl auch mehr als ein Netzwerk. Caritas Europa ist ein Raum der „Communio“: der Zusammenarbeit, des gemeinsamen Lernens, der Innovation, der Teilnahme und Teilhabe, der Mitgestaltung Europas aus dem Glauben und der gelebten Caritaserfahrung heraus – im Dienste der Menschen, im Blickkontakt mit den Armen, in Verantwortung für kommende Generationen und das gemeinsame Haus der Schöpfung; wo wir gemeinsam zum Aufbau einer Welt beitragen, in der der „Schrei der Erde“ und der „Schrei der Armen“ gehört werden und Antwort finden.
Erklärung zu den „Europäischen Briefen“:Die "Europäischen Briefe" werden von der Coudenhove-Kalergi Gesellschaft herausgegeben. Sie erscheinen fallweise mit Beiträgen engagierter Europäer und Europäerinnen. Richard Coudenhove-Kalergi, mit Wurzeln in mehreren europäischen Ländern, hat bald nach Ende des Ersten Weltkriegs als Gegengewicht zu den totalitären Versuchungen von Faschismus, Nationalsozialismus und Kommunismus die Idee eines vereinten Europas entwickelt, 1923 die Paneuropa-Union gegründet und mit seinen Initiativen maßgeblich zur Schaffung des Europa-Rates 1949 beigetragen.
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