REFLEXIONEN EINES EUROPÄERS
EUROPÄISCHER BRIEF DER EG-CK – EUROPA-GESELLSCHAFT COUDENHOVE-KALERGI
Dr. Emil Ems, Wirtschaftsexperte und Ex-EU-Beamter, Stockholm
Vor vielen Jahren war ich als junger Mann Student und Forscher in Kalifornien. Zum Abschluss meines Aufenthaltes kauften wir uns ein Auto mit kalifornischem Kennzeichen und durchquerten damit den nordamerikanischen Kontinent. Wo immer wir auch unser Zelt abends aufschlugen, trafen wir auf andere ”Kalifornier”, die uns lächelnd als ”Mitbürger” begrüssten. Damals wurde mir klar, dass auch die Amerikaner ein Gefühl für ihre Nahheimat pflegen. Doch ist es kein nationaler Patriotismus, wie bei den meisten Europäern, da Migration zwischen verschiedenen Teilstaaten eher die Regel als die Ausnahme darstellt. Wird es auch bei uns im alten Kontinent schlussendlich so weit kommen, dass wir zunehmend Europa als unsere Heimat sehen, ohne dabei die warmen Gefühle für unser Geburtsland verblassen zu lassen?
Wie heute mehr und mehr üblich, besonders in den jüngeren Generationen, habe ich eine recht mobile Karriere durchlaufen und damit Lojalitäten zu sehr verschiedenen Menschen, Orten, Ländern und Kulturen in Europa entwickelt. Meine praktische Hauptreferenz ist schlussendlich Schweden geworden, ohne dabei meine österreichischen Wurzeln zu vergessen. Ich bin Europäer, habe ich als Antwort auf die Frage ob mehr Schwede oder Österreicher gefunden.
Oft sprechen Handlungen deutlicher als Gedanken. Warum hatte ich immer Beschäftigung im internationalen Bereich angestrebt und dort auch viel lieber gearbeitet als bei nationalen Behörden. Wahrscheinlich, weil diese Stellen ein
staatenloses Flair hatten und ich dort Menschen aus den verschiedensten Ländern traf, die sich in der gleichen Lage befanden wie ich: Migranten ohne eindeutige Verankerung. Ich konnte mich besonders beim EU-Engagement verwurzelt fühlen, weil viele gemeinsame Werte Heimat bedeuten. Nach vielen dislozierten Arbeitsjahren komme ich schließlich zum Schluss, dass es wenig Sinn macht, seine Wurzeln an einem bestimmten Ort zu suchen. Nach meinen vielen Wanderjahren bin ich geneigt, die Wurzeln meines Seins in mir selbst und meiner Gesinnung wahrzunehmen. Damit fühle ich mich in Europa ausgezeichnet aufgehoben.
Wenngleich ich damit ein Lösung für mich sehe, fragt es sich, bieten sich für andere moderne Nomaden akzeptable Erklärungen für diese Identifizierungsfrage an? Seit undenklichen Zeiten wurden die Umherziehenden ohne feste Wurzeln und ohne Bindung, früher an einen Stamm oder heute an eine Nation, von ihren Mitmenschen als Nichtsesshafte, als Aussenseiter oder rassistisch gar als Untermenschen angesehen.
Innerhalb der Europäischen Union ist für seine Bürger der rote Pass ein Zugehörigkeitsausweis. Die EU wird oft mit dem mittelalterlichen Heiligen Römischen Reich verglichen. Der Völkerrechtler Pufendorf hat vor langer Zeit das historische Reichsgebilde nach den Regeln der Politikwissenschaften als ein irreguläres, einem mythischen Mischwesen ahnlichen Körper bezeichnet. Der philosophische Vergleich ist in der Realität unberechtigt, da die EU durch eine demokratische und freiwillige Einigung zustande kam und sich die humanistischen Ideale von Freiheit und Frieden auf die Fahnen geheftet hat, eine reale und nach unseren kulturellen Vorstellungen zufriedenstellende Form der Gemeinsamkeit. Ich würde mir zwar noch lieber eine der EU ähnliche Weltgemeinschaft wünschen, dies wird jedoch immer eine unerreichbare Utopie verbleiben.
In Europa kann ich mich frei bewegen und Wurzeln schlagen, wo immer es mir beliebt und ich als europäisch gleichwertig geachtet werde. Daher bin ich stolz und zufrieden, Bürger Europas zu sein. Ich kann nur hoffen, dass sich diese Einstellung, mit der Zeit und in den Generationen, die nach uns kommen, so allgemein verbreiten möge, wie es in den Vereinigten Staaten schon seit mehr als einem Jahrhundert der Fall ist.
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