WOLLEN SIE DER GEORGE WASHINGTON DER VEREINIGTEN STAATEN VON EUROPA WERDEN? Die Anfänge von Paneuropa und Tomáš Masaryk der Tschechoslowakei

von Univ.Prof. Mag. Dr. Anita Ziegerhofer, Universität Graz Durch die Bestimmungen des Vertrages von St. Germain, der am 16. Juli 1920 in Kraft trat, war Richard Coudenhove-Kalergi (RCK) tschechoslowakischer Staatsbürger geworden. Er betrachtete dies als eine schicksalshafte Fügung. Bereits in diesem Jahr stellte er sich die Frage, von welchem Land die Initiative für die Realisierung seiner Idee Paneuropa ausgehen könnte. Da seit Anfang der 1920-er Jahre auf der Basis von bilateralen Verträgen die „Kleine Entente“ gebildet wurde, hoffte er, dass dieses Staatenbündnis zwischen der Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien die Basis für Paneuropa werden könnte. Daher suchte RCK den Kontakt zum neuen Staatsoberhaupt Tomáš Masaryk (1850-1937). Wahrscheinlich fand das erste Gespräch vor 100 Jahren, im Frühjahr 1921, im Prager Hradschin statt. Im Zuge dessen bat RCK Präsident Masaryk die Initiative zu ergreifen und der George Washington der Vereinigten Staaten von Europa zu werden. Dieser erachtete die Idee für richtig und meinte, dass die Vereinigten Staaten von Europa einmal zustande kommen werden: „Aber ich fürchte, dass die Zeit dafür nicht reif ist.“ Er sei zu alt für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Europa! Dennoch unterstützte Masaryk Zeit seines Lebens die Paneuropa-Bewegung finanziell. Masaryk förderte Paneuropa auch dadurch, indem er RCK Außenminister Edvard Beneš vorstellte. Dieser verschaffte ihm Zutritt zu französischen Regierungskreisen, unter anderem zu Aristide Briand. RCK versuchte aufgrund seiner Beziehungen zu Masaryk, Beneš und Hodža, Paneuropa auch auf der Basis der Kleinen Entente zu realisieren. Doch das Jahr 1938 machte alle seine Hoffnung zunichte: Am 12. März 1938 erfolgte der Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland, RCK und seine Familie konnten noch rechtzeitig fliehen. Ein halbes Jahr später verlor er aufgrund des am 29. September 1938 von Deutschland, Italien, Frankreich und England unterzeichneten Münchner Abkommens über die Abtretung des Sudetenlandes an Deutschland seine tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Im Frühjahr 1939 erhielt RCK die französische Staatsbürgerschaft für außerordentliche Leistungen zugunsten Frankreichs, womit wohl die Zusammenarbeit mit Aristide Brian gemeint war. Auch die Kleine Entente hatte nach dem Münchner Abkommen faktisch aufgehört zu bestehen. Nach seiner Rückkehr aus dem US-amerikanischen Exil 1946 setzte sich RCK für die Vereinigung Europas ein und hier in besonderem Maße für die Überwindung des durch den Kalten Krieg entstandenen Ost-West-Konfliktes. Ein vereintes Europa ohne die osteuropäischen Staaten war für ihn undenkbar.

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