2022 EUROPÄISCHES JAHR DER JUGEND

JUGEND UND EUROPA Gabriel Godeffroy, Doktorand in Geschichte und Stipendiat der Europa-Gesellschaft Coudenhove-Kalergi Im Frühling 1923 widmete Richard Coudenhove-Kalergi sein Buch Pan-Europa der Jugend Europas. Er war noch nicht 29 Jahre alt, wie ich heute, als er die europäische Jugend nach den Schrecken des Ersten Weltkrieges aufforderte, „auf den Trümmern des alten ein neues Europa zu errichten“. Die Jugend Europas musste damals die politische und wirtschaftliche Zersplitterung Europas sowie die nationalen Feindseligkeiten überwinden und den politischen und wirtschaftlichen Zusammenschluss Europas erzielen, um nachhaltige Bedingungen für den Weltfrieden zu schaffen. Um dieses Werk zu vollbringen, rief er die Jugend Europas auf, ihrer Berufung zu folgen. Als ich Pan-Europa zum ersten Mal las, fühlte ich mich auch von Richard Coudenhove-Kalergi appelliert, als hätte er sein Buch nicht nur für die europäische Jugend seiner Zeit geschrieben, sondern auch für die kommenden Generationen. Denn die europäische Verständigung ist nach wie vor, trotz der europäischen Errungenschaften nach 1945 und 1989, keine Selbstverständlichkeit, wie uns das Brexit-Referendum im Jahre 2016 erinnert hat. Es ist kein Zufall, dass die britische Jugend für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt hat, denn die Jugend schaut naturgemäß nach vorne und auf andere, um ihre Zukunft zu gestalten. Aber die Berufung der europäischen Jugend von heute ist weder, wie in der Nachkriegszeit, ein neues Europa zu errichten, noch das gegenwärtige Europa eifersüchtig zu bewahren, bis es verkümmert, sondern Europa zu erleben, um es zu beleben. Europa erleben heißt seine Vielfalt durch den Austausch von Lebenserfahrungen wahrzunehmen, durch die Aufarbeitung des europäischen Kulturerbes zu pflegen und durch gemeinsames Schaffen zu gestalten. Nur so kann eine europäische Identität entstehen, die jedem einzelnen Menschen ermöglicht, sich zu entfalten und in seiner Individualität zu existieren. Ausgehend vom Motto der Europäischen Union „In Vielfalt geeint“ definiert Professor Wolfgang Schmale die europäische Identität als „das individuelle und gemeinsame Leben, Pflegen und Gestalten der Vielfalt in Europa, angeleitet durch das Prinzip der Nicht-Diskriminierung, auf der Grundlage von Verständigung und gegenseitigem Respekt, über Grenzen hinweg“. Ohne eine europäische Identität, die immer wieder von der europäischen Jugend belebt werden muss, können die Grenzen übergreifenden Herausforderungen, wie der Klimawandel und der Rohstoffmangel, nicht angenommen und überwunden werden. Wenn die europäische Vielfalt, aus kurzsichtigem Egoismus oder blindem Nihilismus, nicht gepflegt wird, könnten wir die Zeugen des Wiederaufstieges des Nationalismus und des Totalitarismus werden, die das Individuum verneinen, die Massen manipulieren und die Vielfalt zerstören, und so unser Überleben als Menschheit gefährden.

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