EU-PARLAMENTSWAHLEN 2019 AUS US-AMERIKANISCHER SICHT

von Coudenhove-Kalergi-Rat Dr. Robert Dassanowsky, PhD FRHistS, Prof. für Deutsch/Österreich-Studien sowie Filmstudien Universität von Colorado, Colorado Springs, USA Die allgemeine Reaktion der US-amerikanischen Presse auf die EU-Wahlen im Mai war so simpel, dass sie fast abweisend wirkte. Dies ist angesichts der mangelnden Präsenz der EU im öffentlichen Bewusstsein der Vereinigten Staaten nicht unerwartet, insbesondere unter einem Präsidenten, der europäische Allianzen aus einer Laune heraus ablehnt, die NATO mit einem Wirtschaftsrat verwechselt und sich für einen russischen Präsidenten einsetzt, der darauf hinzielt Europa zu stören, den Westen zu untergraben und ehemaliges sowjetisches Territorium wiederzugewinnen. Den an der Politik der EU interessierten Amerikanern war jedoch die Tatsache klar, dass die traditionelle Koalition mächtiger zentristischer Parteien im EU-Parlament stark geschwächt wurde. Die Analysten gaben dem Anstieg des Rechts- und Linkspopulismus und sicherlich dem Brexit die Schuld. Aber auch eine jüngere Generation hatte an dieser Schwächung Anteil, eine Generation, die der Kompromisse bei schwierigen und langfristigen Themen müde waren, Themen wie Einwanderung, Wirtschaftsreformen und besonders auch bei den Fragen bezüglich Umwelt und Klimawandel, die auch zu einer unerwarteten grünen Welle bei einem großen Teil der Wähler führte. Dies war jedoch weniger ein Schock als eine eigenartige Vertrautheit mit denjenigen, die sich für die EU interessieren und ihre Bedeutung von Amerika aus unterstützen, einem Amerika, wo alles historisch zentristisch wählt und alles undenkbar wäre, was einen Zweiparteien-Traditionalismus stürzen könnte. Dies galt, bis das Undenkbare mit der konservativen Republikanischen Partei geschah und sich Wähler aus dem gesamten politischen Spektrum zusammenfanden, um zu den 35 Prozent der Amerikaner zu werden, die Donald Trump ins Weiße Haus brachten. Wenn es etwas gibt über das sich alle einig sind, was die spaltende Trump-Präsidentschaft betrifft, dann wird die US-Politik nie wieder dieselbe sein. Tatsache ist jedenfalls, selbst wenn der amerikanische Präsident aus zu rechtfertigenden Gründen aus dem Amt entfernt wird, nicht damit gerechnet wird, dass die Vereinigten Staaten von Amerika ins Wanken geraten. Dennoch sind viele Amerikaner überzeugt, dass die größte demokratisch gewählte repräsentative Union der Geschichte, die aus mehr als 512 Millionen Menschen aus 28 Mitgliedstaaten besteht, sich keineswegs wegen Problemen wie Flüchtlingskrise, die russische Kriegführung gegen die Ukraine, ein mögliches italienisches Euro-Finanzdebakel, den französischen Gelbwesten-Protesten, Viktor Orbán oder wegen anderer Probleme auflösen wird. Die EU verfügt nicht über die Erfahrung der USA aus 242 Jahren mehr oder weniger kohärenter Existenz. Europa aber beschäftigt sich seit Jahrhunderten mit Aspekten der kontinentalen Einheit und Trennung. Was die Amerikaner erkennen müssen, wenn sie sich gegenwärtig mit ihrer sich wandelnden multikulturellen Identität und ihren sich wandelnden Werten als einzige traditionelle Supermacht auseinandersetzen, ist ein Verständnis der kulturellen Unermesslichkeit der Europäischen Union und die Erfüllung des Traums, eine solche Einheit mit den Idealen der westlichen Zivilisation in der EU zu sehen. Dies hat - mit Unterstützung der Vereinigten Staaten - in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erstaunlichen Frieden, Wachstum und Wohlstand auf dem europäischen Kontinent gesichert. Darüber hinaus wurden nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa diese Länder in die Union aufgenommen (nach der friedlichen Schaffung der deutschen Einheit, dem Zerfall der UdSSR, und dem Krieg zur Auslösung Jugoslawiens), was zuvor kaum vorstellbar war. Der hochrangige EU-Abgeordnete und Präsident der Paneuropa-Union, Otto von Habsburg, konnte sich das schon Jahre davor vorstellen, als er die Befreiung der baltischen Staaten von der sowjetischen Besatzung auf der Grundlage der UN-Resolution 1514, der Unabhängigkeitserklärung für Kolonialländer und Völker forderte. Er erklärte, "Paneuropa ist ganz Europa", ein einfaches, aber eindringliches Motto, das mit einem Ereignis Wirklichkeit wurde, von dem die meisten Amerikaner, auch diejenigen mit starker europäischer Identität, wenig wissen. Vor dreißig Jahren führte das Paneuropa-Picknick an der österreichisch-ungarischen Grenze zu einer Flucht in die Freiheit, als die Stacheldrahtgrenze aufgeschnitten wurde, um den Ostdeutschen in Ungarn den Zugang zum Westen zu ermöglichen. Historiker berücksichtigen oft nicht ausreichend jene Europäer, die die Revolutionen von 1989/90 in Gang setzten: Lech Walesa mit der polnischen Solidarność, Papst Johannes Paul II., der österreichische Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn, Otto von Habsburg, Walburga Habsburg-Douglas, der ungarische Staatsminister Imre Pozsgay, der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl und sein Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der tschechoslowakische Staatsmann Václav Havel sowie die Ostdeutschen, Tschechoslowaken und Ungarn, die die Befreiung der neuen Europäer feierten. Dieses Beispiel von so vielen, das das Bewusstsein der EU geprägt hat, ist nicht weniger wichtig als Ideen und Maßnahmen, die den USA geholfen haben eine demokratische Republik zu werden und zu bleiben. Es sei auch daran erinnert, dass die ursprüngliche Inspiration der EU auf einer idealisierten Struktur des Österreichisch-Ungarischen Reiches beruhte, das Osteuropa, wie die USA im Westen ihres Kontinents, kolonisierte. Ein transkultureller Staat war die Monarchie Östereich-Ungarn, der sich auf die besten aufgeklärten Werte einer Dynastie stützte und daran glaubte, Nationen aus fünfzehn verschiedenen Sprachen zu vereinen. Die Karte der „Vereinigten Staaten von Österreich“, ein Plan für die konstitutionelle und geopolitische Entwicklung des Imperiums im neuen 20. Jahrhundert, hängt noch immer im Schloss Artstetten, in der Bibliothek des Habsburger-Erben Erzherzog Franz Ferdinand. In den USA steht der Euro unter laufender Aufmerksamkeit. Eine der größten Befürchtungen ist, dass die Gesundheit und der Wohlstand der wirtschaftlichen Erholung in Europa, die letztendlich die Schaffung der EU ermöglichten, nicht nachhaltig sind. Es könnte ernsthafte Probleme bei der Unterstützung von „Wohlfahrtsstaaten“ geben. Diese letztgenannte Befürchtung ist teilweise von der amerikanischen Besorgnis über die Unfähigkeit abgeleitet, die soziale Sicherheit aufrechtzuerhalten und sogar zu erhöhen oder ein nationales Gesundheitsprogramm zu verwalten. Wie wird die europäische Identität jemals Wurzeln schlagen? Dies ist vielleicht die häufigste Frage, die Amerikaner auf allen sozioökonomischen Ebenen stellen. Es besteht nun der zusätzliche Verdacht, dass Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus die Leistungsfähigkeit der EU insgesamt beeinträchtigen könnten. Eine ehrliche Antwort auf die amerikanischen Zweifel an einem dauerhaften Europäertum angesichts der großen und weitreichenden Unterschiede auf dem Kontinent gibt der italienische Politiker Massimo d'Azeglio aus dem 19. Jahrhundert, der über die Vereinigung seines vielfältigen Landes im Jahr 1861 schreibt: „Wir haben Italien geschaffen. Jetzt müssen wir Italiener werden.“ Angesichts der Unermesslichkeit der EU war die Entwicklung eines Gefühls der europäischen Identität bemerkenswert erfolgreich und kann und wird das nationalistische Auf und Ab leiten. Euroskeptische Parteien würden niemals auf einen Sitz im EU-Parlament verzichten, wenn sie angeboten werden. Ungeachtet des Brexits geht es bei jedem politischen Konflikt jetzt um die Gestaltung und Reform der EU, und selbst wenn es sich um kritische Rhetorik handelt, handelt es sich nicht um eine existenzielle Konfrontation. Die Idee Europäer zu sein bietet ein Gefühl der konzeptuellen und philosophischen Macht, das wenig mit den traditionellen Parteienspaltungen in einem nationalen Parlament zu tun hat. Es ist in jeder Hinsicht unrealistisch sich vorzustellen, dass die EU in nur ein oder zwei Jahrzehnten Europäer hervorbringen könnte. Und um zu sehen, dass dies tatsächlich bereits der Fall ist, könnte man die Forderungen, die diese Europäer an ihre Union stellen, genau untersuchen: mehr direkte Demokratie, weniger Zentralisierung, Bedenken hinsichtlich der Aufteilung von Stadt und Land bei der Deregulierung. Schließlich wird die Einwanderung von Millionen von Einwanderern aus Syrien und anderen vom Krieg zerrissenen Ländern oft von Europäern und Amerikanern genutzt, um das drohende Scheitern der EU zu unterstreichen und eine Lehre für die künftige Reaktion auf eine ähnliche Einwanderung in die USA zu ziehen. Die amerikanische Presse weist hier oft auf die populistischen Länder Ungarn, Polen und Italien sowie die anti-islamischen und antisemitischen Länder hin, die in jüngster Zeit in Bezug auf Fremdenfeindlichkeit aufgefallen sind. Es ist aber auch klar, dass die Länder mit den rechts-außen Regierungen die EU nicht verlassen wollen. Der Brexit hat viele alarmiert, nicht nur Euroskeptiker, sondern auch die Urheber der illiberalen Demokratie haben gelernt, mit der demokratischen Philosophie der europäischen Einheit zusammen zu existieren. Wenn das EU-Parlament tatsächlich sein traditionelles Zentrum verloren hat, könnte dies das Konzept eines Europas der Regionen auffrischen, das aufgrund der verschobenen Machtzentren etwas verblasst ist. Dies wird jedoch die EU-Rolle als wartende Supermacht nicht zum Erliegen bringen. Es könnte an der Zeit sein, dass die USA von der EU lernen und sich mit der Arbeit und den Idealen von Richard Coudenhove-Kalergi vertraut machen, die darauf abzielen, den militanten Nationalismus und das Versagen der Demokratie in der Zwischenkriegszeit einzudämmen. Seine Schriften sind nicht nur ein primärer und zeitloser Diskurs über Einheit und Transkulturalität aus der europäischen Erfahrung, sondern sie könnten auch dazu beitragen, dass die Vereinigten Staaten mit ihrer immer größer werdenden transkulturellen Bevölkerung, die sich in Isolation und Spaltung befindet, für ihr drittes Jahrhundert positiv weiterentwickelt.

Comments

Popular posts from this blog

ENERGIEAUTARKIE IN DER EU

ORF – neue Standortbestimmung

MACHT als zentrales Gesellschaftsphänomen