CHINA AM ZIEL ! EUROPA AM ENDE ? 2049
Christoph Leitl ist ein überzeugter Europäer. Er war langjähriger Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, und ist jetzt Präsident der Europäischen Wirtschaftskammer - Eurochambers. Das zeigt: er ist der Heimat verbunden und weltoffen. Der Autor ist als Unternehmer und Politiker ein Praktiker; aber auch ein Visionär. Sein Buch ist daher realistisch, aber auch engagiert. In „China am Ziel! Europa am Ende?“ geht es Leitl darum aufzuzeigen, was wir Europäer tun sollten, um die Zukunft, ja die Welt mitgestalten zu können, wenn China endgültig die führende Macht sein wird.
Zunächst schildert der Leitl, wie es zum europäischen Erfolgsprojekt kam, um dann darzulegen, dass Europa heute Gefahr läuft, in eine Statistenrolle zu verfallen: 1949 gründeten Staaten, die seit undenklichen Zeiten miteinander Krieg geführt hatten, den Europarat. Aus Konfrontation wurde Kooperation, die auf den gemeinsamen Werten Menschenrechte, Demokratie und Rechtstaatlichkeit aufbaute. Die folgenden zwei Generationen konnten in Frieden leben.
Während diese Erfolge zur Selbstverständlichkeit wurden, werden neue Herausforderungen nur schwer bewältigt: der Bruch zwischen Generationen führt zu Protestbewegungen; nach der Finanz- und Wirtschaftskrise haben 20 Millionen Menschen in Europa ihren Job verloren; und der überwunden geglaubte Nationalismus kommt wieder zum Tragen. Gleichzeitig ist Europa nicht fähig, „seine eigene Sicherheit zu gewährleisten“. Die „gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ besteht vielfach nur aus leeren Worten. Eine Währungsunion, ohne den gemeinsamen Rahmen einer politischen Union, kann auf Dauer nicht existieren!
Dabei zeichnen sich die Aufgaben, die in Zukunft zu bewältigen sind, schon heute klar ab: 2049 zählt die Welt 10 Milliarden Menschen; die Bevölkerungszahl Afrikas wird sich bis dahin auf über 2 Milliarden verdoppeln; jene Europas sinkt, was Wander- Bewegungen unausweichlich macht. Vor nur zehn Jahren hatten die USA und Europa gemeinsam einen Anteil am Welthandel von zwei Drittel; heute liegt er bei 50 %; in zehn Jahren bei einem Drittel.
In 20 Jahren wird kein einziges europäisches Land unter den Top 10 der Weltwirtschaft aufscheinen. Die Hälfte der Stahlproduktion der Welt sowie der Zementproduktion erfolgt bereits in China. 2050 wird China unangefochten die größte Volkswirtschaft der Welt sein. Leitls Kritik: die Welt verändert sich, aber wir schauen zu. „Die Alarmglocken läuten, sie werden aber nicht gehört“.
Nach dieser nüchternen Analyse entwickelt der Autor eine neue Vision für Europa und zeigt auf, wie die gegenwärtigen Schwierigkeiten überwunden werden können: Europa braucht mehr Eigenständigkeit und mehr Selbstbewusstsein, vor allem auch gegenüber den USA. Europa braucht eine eigene Sicherheitskonzeption; muss den inneren Zusammenhalt wieder finden; seine Handlungsfähigkeit herstellen; durch ein begabungsorientiertes Schulsystem Talente fördern; und bei Forschung und Entwicklung vom „Abstellgleis auf die Überholspur kommen“.
Leitl will ein starkes Europa, aber nicht deshalb, damit unser Kontinent die anderen dominiert, sondern, damit wir gemeinsam mit den USA und mit China; mit Russland und Indien die Probleme der Zukunft lösen. Dieser Ansatz unterscheidet sich wohltuend von den kriegerischen Tönen, die man aus Amerika hört. Dort wurde ein Buch mit dem Titel „Destined for War“ (also: es wird zum Krieg kommen zwischen den USA und China) zum Bestseller. Und auch mit einer anderen Schlussfolgerung liegt Leitl richtig: die europäische Integration kann man nicht verordnen, man muss dazu motivieren und Anreize setzen. Mit „China am Ziel! Europa am Ende?“ ist das zweifellos gelungen.
Buch von Christoph LEITL, Präsident der Eurochambers; ECOWIN Verlag 2020; 166 Seiten; 20 Euro
Rezension von Dr. Wendelin Ettmayer, Botschafter ret., Wien
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