HASS AUF ALLE RUSSEN ?
EUROPÄISCHER BRIEF DER EUROPA GESELLSCHAFT COUDENHOVE-KALERG
VON Jean-Paul Picaper, Journalist und Schriftsteller, Paris, Berlin, Straßburg
Putins Krieg in der Ukraine erzeugt Hass auf die Russen. Und der Russenhass erscheint in Mitteleuropa angesichts der gegenwärtigen Verbrechen Putins, der vergangenen Verbrechen Stalins und der immer wiederkehrenden Kollisionen mit der russischen Territorialbulimie verständlich.. Dieser undifferenzierte Hass motiviert die ukrainischen Truppen im Krieg und immunisiert das ukrainische Volk gegen die Listen des Feindes. Aber es stellt sich die Frage, ob es strategisch sinnvoll ist, alle Russen insgesamt zu stigmatisieren? Ich habe mich manchmal gefragt, ob die Vorstellung, dass es nur Russen gibt, die Putin unterwürfig sind, nicht eine Täuschung seiner Propagandisten war, um uns davon abzubringen, Gegnern des Kremls beizustehen.
Ich erlebte einst mein Frankreich, das alle Deutschen und alles, was deutsch war, hasste. Allerdings hatte ein Vetter meiner Mutter als Kriegsgefangener in Deutschland vier Jahre Zwangsfreizeit in einem Kriegsgefangenenlager verbracht. .Die Wehrmacht achtete die internationalen Abkommen zum Schutz der Kriegegefangenen. Dort lernte er einfache Deutsche kennen und konnte deutsche Literatur lesen. Er hatte nach seiner Entlassung 1945 seine Deutschenmeinung total geändert. „Es sind dort nicht alle Nazis. Wir müssen Deutsch lernen und müssen uns mit dieser hohen Kultur, diesem tollen Volk versöhnen“. Das haben wir getan. Genau so sind die Russen heute nicht alle Verehrer Putins. Bei weitem nicht. Verstehen wir sie?
Ich habe Überlebende des deutschen antinazi Widerstands interviewt. Die Briten hatten diese Hitler-Wiederständler weitgehend ignoriert. Churchill hatte den ihren Anschlag auf Hitler am 20. Juli 1944 missverstanden. Er sagte, er sei zufrieden, „zu sehen, wie sich die Potentaten des Dritten Reiches gegenseitig an die Gurgel gehen“. Er bereute dies 1945, als er dem Unterhaus sagte: „In Deutschland gab es eine Opposition, die durch ihre eigenen Opfer und die internationale Politik immer mehr geschwächt worden war, die aber das Edelste und Größte in der politischen Geschichte aller Völker war. Diese Männer kämpften
Zusätzlich zu den Hunderten von Freunden und Sympathisanten Stauffenbergs, die von Hitler unter grausamen Bedingungen hingerichtet wurden, litten und starben Tausende deutscher Hitler-Gegner in Lagern und Gefängnissen. „Sie waren unsichtbar“, entschuldigte sich Churchill.
Ebenso leiden und sterben heute Tausende russische Gegner in Putins Lagern und Gefängnissen. Die meisten sind das Salz der Erde. Putin lässt sie eins nach dem anderen verschwinden und verbirgt sie vor uns. Ukrainer verschmähen sie. Unsere Fernsehkanäle zeigen nicht diese Helden und Heldinnen. An unseren Universitäten demonstriert niemand gegen Putins Neo-Gulag.
Vor 80 Jahren wurde der deutsche Widerstand übersehen. Hätte man ihm nur in Paris im Juli 1944 geholfen, hätten wir Millionen Tote in Europa, immense Schäden und den Einmarsch der russischen Armee bis zur Elbe vermieden. Die blutige Landung der Alliierten in der Normandie wäre nicht nötig gewesen. Worauf warten wir denn heute, um der russischen Opposition zu helfen? In den Jahren 1989 und 1990 brachte keine Armee den Sowjetimperialismus zu Fall, sondern die interne Opposition, in Russland an der Staatsspitze, in den Satellitenstaaten an der Basis.
Putin war davon Zeuge. Daher erschreckt ihn die russische Opposition mehr als die NATO. Er verstärkt in Russland die Überwachung und die Unterdrückung.
Was tun ? Die Freie Welt muss sich an das Sanskrit-Axiom erinnern, das der österreichische Psychologe Fritz Helder in den 1940er Jahren neu interpretierte: „Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde“. Wir müssen dem entsprechend handeln. Putins russische Gegner sind zahlreich, klug und mutig. Geschichte und Politik sagen uns, dass sie unsere Freunde sind und dass wir ihnen jetzt helfen sollen. Morgen wird es zu spät sein.
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